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Mit allen Vollmachten ausgestattet   

Winfried Bader zur Lesung am 4. Sonntag im Jahreskreis SKZ 3/2007

Alttestamentliche Lesung: Jer 1,4–5.17–19
Evangelium: Lk 4,21–30

Im Wirtschaftsleben ist das heutzutage nichts Ungewöhnliches: Geht es einer Firma schlecht, wollen die Aktionäre noch mehr Gewinn herauspressen, so rufen sie einen Sanierer oder Strategen. Er wird mit allen Vollmachten der Firma ausgestattet und hat nun das Recht durchzugreifen: Abteilungen zu schliessen, Leute zu entlassen, Prozesse zu optimieren. Sein Job ist, unbeliebt zu sein, sein Lohn ist viel Geld. Doch wem ist er verpflichtet? Wo ist er selbst?

Mit Israel lesen

Der Prophet Jeremia war so einer, der unbeliebt war, das erzählt das ganze Buch. Die Verse 4–19 des 1. Kapitels, aus dem die heutige Lesung genommen ist, sind dazu gleichsam die Ouvertüre. In ihnen klingen all die Themen an, die Jeremias Leben prägen werden: der Dialog mit Gott, für ihn die Grundlage und Grundausrichtung seines Lebens (Verse 4–10); eine erste Vision, der Mandelzweig, der das unwiderrufliche Gericht Gottes andeutet (Verse 11–12); eine zweite Vision, der dampfende Kessel, der den Feind aus dem Norden nennt, der zur Ursache für den Untergang Jerusalems wurde (Verse 13–16); schliesslich der Sendungsauftrag, bei dem auch gleich die Schwierigkeiten dieser Sendung angesprochen werden (Verse 17–19). Mit diesen Aufgaben und in diesem Spannungsfeld wird sich das ganze öffentliche Leben Jeremias abspielen.

Jeremias Berufung ist vom Wort geprägt: Das Gottes-Wort, die dabar YHWH, wird als eine vom Menschen vernehmbare Äusserung dargestellt, die als Ereignis auf den Mensch zukommt. Dabar ist mehr als nur ein gesprochenes Wort. Es steht auch für die damit verbundene Sache. Es geschieht und löst beim Propheten eine Wirkung zum Handeln aus. Dieses Wort ist eine dynamische Kraft, die plötzlich in einen Geschehenszusammenhang eingreift und ihn verändert. Bei Jeremia begann dieses verändernde Geschehen schon lange vor seine Geburt, wie es in Vers 5 in einem Parallelismus gesagt wird: yada – erkennen, ausersehen und qadosch – heiligen, aussondern stehen dabei parallel. Jeremia hat also eine besonders enge Beziehung zu Gott, er ist von ihm erkannt, und er hat gleichzeitig eine Distanz zu den Menschen, denn er ist ausgesondert. Seine Rolle ist die des Propheten für die Völker. Seine Botschaft betrifft nicht nur Israel, sondern sie betrifft alle Völker, die dadurch zu Werkzeugen für das Heilshandeln Gottes an seinem Volk werden.

Jeremias Gegenrede und die Visionen lässt die Lesungsperikope aus. Sie setzt wieder ein bei dem Sendungsauftrag: Jeremia soll sich gürten, d. h. er soll sich rüsten wie für einen Kampf, eine Arbeit oder einen Gang, indem er das lange Obergewand mit einem Gürtel hochbindet. Er soll kraftvoll auftreten, und den Schrecken, den er auslöst und der als Widerstand auf ihn zukommt, überwinden.

Es wird aber mit massivem Widerstand gerechnet und dagegen bekommt Jeremia eine besondere Ausstattung: Er wird unangreifbar wie eine befestigte Stadt; er wird wie ein ägyptischer Pharao zur eisernen Mauer, er ist damit nicht nur selbst geschützt, sondern kann auch anderen Schutz bieten. Die eherne Säule, zu der er wird, ist nicht nur Symbol seiner Standfestigkeit, sondern erinnert an die bei der Deportation aus dem Tempel verschleppten Säulen, Jeremia selbst wird zum Symbol für den Tempel. Die letzten Widerstände der Gegner überwindet Jeremia mit der Zusage Gottes: «Ich bin mit dir». Sein ganzes Vertrauen kann er auf den legen, der ihn begleitet und rettet.

Am Ende dieser Textouvertüre ist es klar: Jeremia hat eine Aufgabe, er soll das Gericht Gottes ankündigen und gegen die Völker aus dem Norden vorgehen. Er hat die Prognose, dass es schwer wird. Dagegen hat er seine Vollmachten und Hilfen, die Schwierigkeiten zu überwinden. Er hat die Zusage der Begleitung durch Gott.

Wird ihm all das nutzen, die Aufgabe zu lösen? Wird er selbst Mensch bleiben? Und was ist seine Hoffnung und sein Lohn, an den Stellen, wenn es hart wird, wo der moderne Sanierungsmanager dann wenigstens sagen kann: Ich werde dafür hoch bezahlt. Wo findet sich bei Jeremia diese Genugtuung?

Mit der Kirche lesen

Auch das heutige Evangelium ist eine Kurzzusammenfassung des Lebens Jesu, eine Ouvertüre am Anfang des Lukasevangeliums, in der alle Themen anklingen. Taufe und Berufung Jesu sind durch das der Leseperikope vorausgehende Jesaja-Zitat angekündigt: «Der Geist des Herrn ruht auf mir.» Die Zweifel der Dorfbevölkerung an Jesu Legitimation sind gegeben durch den Satz: «Ist das nicht der Sohn Josefs?» Das Wirken seines Lebens, das Heilen der Kranken, das Speisen der Hungrigen, die Befreiung von Aussätzigen sind angedeutet. Die Passion spiegelt sich in der aufgebrachten Menge, die Jesus zur Stadt hinaustreibt bis zum Abhang des Berges, ein Bild für Jesu Hinabsteigen in das Totenreich. Jesus befreit sich aus der Situation, indem er Mitten durch die Menge schreitet, eine Vorwegnahme seiner Auferstehung.

Lesung und Evangelium sind also beides Ouvertüren, die all die Themen des jeweiligen Lebens andeuten. Man sieht den Auftrag bei Jeremia und entdeckt dann auch bewusst den Auftrag bei Jesu, man sieht die Widerstände bei Jesu und tröstet sich, dass es dasselbe schon bei Jeremia gab. Man sieht das Bild der befestigten Stadt und der eisernen Mauer und fragt sich, wo hier die Entsprechung bei Jesus ist, genügt ihm das «Ich bin bei dir» seines Vaters, das auch schon Jeremia zugesprochen wurde, das Versprechen der Rettung?

Nehmen wir nochmals den eingangs erwähnten modernen Manager in den Blick, dann wird der Unterschied noch deutlicher. Genau dieser Unterschied zeigt aber den Weg, auch als Manager sich selbst zu bleiben, in dem man andere Massstäbe setzt, Jesu Botschaft statt reinem Profit.

Informationen: Jeremia und die deuteronomistische Redaktion

Gemäss den ersten Versen des Jeremiabuches wirkte der Prophet Jeremia unter den Königen Joschija, Jojakim und Zidkija, sein Wirken begann also in einer Blütezeit des Staates Juda 627 v. Chr. und endete mit der Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und Deportation 586 v. Chr.

Jeremia beurteilt die politischen Situationen mit Assyrien, Ägypten und Babylon sehr scharf, sieht die Gefahren und warnt vor dem Unheil, das durch unüberlegte Koalitionen entsteht.

Zum Ende der Exilszeit überarbeitet die deuteronomistische Redaktion das Jeremiabuch; seine Gerichtsankündigungen hatten sich erfüllt, daher kommt ihm diese Ehre zu. Die Redaktion will durch den Rückblick auf diesen gerechten Propheten helfen, die Katastrophe von 586 zu bewältigen: Die Zerstörung und Deportation wird als Strafgericht YHWHs gedeutet, für die Kette der Vergehen des Volkes gegen den göttlichen Willen, den es durch Jeremia wusste. Für die Zukunft wird eine Heilserwartung aufgebaut, indem sie den Versprengten die Rückkehr verspricht.