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Fest der Heiligen Familie   

Winfried Bader zur Lesung am Fest der Heiligen Familie / 31.Dezember SKZ 51-52/2006

Alttestamentliche Lesung: 1 Sam 1,20–22.24–28
Evangelium: Lk 2,41–52

Fest der Heiligen Familie – ist Familie heilig? Betrachtet man die Realität heute, so hat sich überall in Mitteleuropa die Grossfamilie als der sozial lebensfähige Organismus aufgelöst. Die verbleibende Kleinfamilie aus Eltern und wenigen Kindern wird hochstilisiert für Aufgaben, die sie gar nicht leisten kann, die spezifischen Funktionen und Möglichkeiten der neuen Formen von Kindern mit nur einem Elternteil, von Patchworkfamilien, die sich nicht durch biologische Elternschaft definieren, ist im öffentlichen Bewusstsein noch kaum angekommen. Politikern ist Familie und Kinder kaum wichtig, wenn es dafür Konzepte und Geld braucht; sie beschwören Familie als Keimzelle des Staates und der Gesellschaft, wenn Schule mal wieder im Erziehungsauftrag versagt oder die Analyse der Rentenversorgung in der Alterspyramide mehr junge Beitragszahler fordert.

Wie und was feiert man dann am heutigen Fest?

Mit Israel lesen

Bei grossen Gestalten wie Samuel interessiert sich die Bibel für seine Kindheit. Doch ist der Anfang des Samuelbuches nicht nur eine Vorgeschichte, sondern das Ziel der Erzählung liegt in sich.

1 Sam 1 ist eine Familiengeschichte, das zeigen eindeutig die Wortfelder und Leitwörter. Elkana, Peninna und Hanna bilden diese Familie mit den bis heute für ein solches Patchwork typischen schwierigen psychischen Konstellationen aus Liebe, Neid, Demütigung, Eifersucht und Sehnsucht nach einem Kind. Die Familie verbindet durch Hanna ihr Schicksal eng mit Gott, dem anderen Protagonist dieser Erzählung.

Hanna, die Kinderlose, wird von Peninna, der Kinderreichen, auf der jährlichen Wallfahrtreise gedemütigt, obwohl oder gerade weil ihr Mann Elkana ihr seine Liebe zeigt (er gibt ihr das Doppelte), dann aber durch seine hilflose Antwort «Bin ich dir nicht mehr wert als 10 Söhne» (v. 8) sie letztlich nicht versteht. Hanna gibt sich damit nicht zufrieden, verhält sich nicht so, wie man es von einer frommen und angepassten Frau erwarten würde, sondern handelt selbst. Das Judentum liest diese Perikope prominent an Rosch- Haschana in der Synagogen-Lesung. Talmud und Midrasch zeichnen ein sehr positives Bild von Hanna und bemerken, dass das nun folgende Bittgebet (v.11) das einzige Gebet einer Frau an Gott ist, das uns wörtlich überliefert wird, worin sie als erster Mensch überhaupt die Anrede «YHWH Zebaot» verwendet. Dieses Gebet ist die Schlüsselstelle des Textes: Hanna macht ein Gelübde, verspricht Gott aber nicht wie üblich eine Sache A für eine Leistung B, sondern A und B, das Verlangte und das Angebotene stimmen überein. Das erbetene Kind ist zugleich die Gabe an Gott. Hanna bietet sich damit selbst Gott als Werkzeug an, sie bezeichnet sich dreimal als seine Magd. Er, der selbst keine Menschenkinder bekommen kann, der aber uns Menschen braucht, bekommt durch Hanna den Propheten Samuel geschenkt.

Die Sonntagslesung setzt erst hier ein, als Hanna Gott dieses Geschenk bringt. Selbstbewusst gegen die Männer tritt sie auf: Sie bestimmt gegenüber ihrem Mann Elkana den Zeitpunkt, wann sie das Gelübde erfüllt, sie bringt sich beim Priester Eli selbstbewusst in Erinnerung: «Ich bin die Frau» (v. 26).

Das Leitwort «erbeten» (schaul; v.17. 20.27–28) zeigt die Erfüllung des im Bittgebet versprochenen Tausches: Hanna hat erbeten von Gott, nun gibt sie den erbetenen Samuel an Gott zurück, als etwas von Gott Erbetenem – und die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ist dabei auch im Hebräischen nicht zufällig.

Mit der Kirche lesen

Die Abgrenzung der Perikope in der christlichen Leseordnung will klar den Akzent auf die Gabe Hannas legen, die sie Gott in ihrem Kind bringt. Damit ist auch ein Akzent für die Auslegung des Evangeliums gesetzt: Das Loslassen des Kindes aus dem ursprünglichen Familienverband.

Die Verbindung von 1 Sam 1–3 mit Lk 2 ist vielfältig: Es ist die Figur der Hanna, die bis hin zu ihrem Lied in Kap. 2 ein Vorbild für Maria ist, es ist die dichte Familienerzählung mit ihren Alltagssorgen, es ist der Bericht über einen Heranwachsenden, der 12-jährige Jesus und der junge Samuel aus Kap. 3, der von Gott gerufen wird. Es ist der Ursprung von zwei grossen Gestalten, die den Staat in Israel und die Welt durch die Botschaft seines Reiches verändert haben.

Das Evangelium wirft aber auch einen speziellen Blick auf die Hanna-Erzählung zurück, wenn Jesus sagt: «Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört.» Es ist hier nicht nur der Tausch des Gelübdes wie bei Hanna. Es wird hier die Frage nach Familie nochmals verschärft, indem in der Familienterminologie («Vater») fortgefahren wird. So wird das Heraustreten des Heranwachsenden aus dem Verband der Familie nicht nur als Verlassen, sondern als Bindung an Neues verstanden.

Elkana, Peninna, Hanna und Samuel, Josef, Maria, Gott und Jesus, zwei heilige Familien mit sehr vielschichtigen Beziehungen, Problemen, Sorgen und Freuden – was ist an ihnen nun heilig?

Es ist sicherlich nicht die bürgerliche Idylle einer Kleinfamilie, die neben Einfamilienhaus und Familien-Van auch noch zwei Kinder besitzen. Es ist die Offenheit sich einzulassen auf Beziehungen, zu ringen um Wünsche, sich anzupassen an Gegebenheiten und die Grundeinsicht, Leben – vor allem heiliges Leben – geschieht nur im fortschreitenden, schmerzlichem und freudigem Prozess.

Historische Informationen
Die Samuelbücher im christlichen und jüdischen Kanon
Der christliche Kanon rechnet die Bücher Samuel zu den Geschichtsbüchern, die mit Josua oder gar dem 1. Buch Mose beginnen, zu denen Rut, die Chroniken, Esra, Nehemia und Ester und teilweise weitere Bücher, die nur griechisch überliefert sind, gehören. Moderne Exegese spricht vom deuteronomistischem Geschichtswerk, das vom Deuteronomium bis zum 2. Buch der Chronik reicht und während und nach dem Exil den Stoff alter Erzählungen in einer systematisch-theologischen Reihenfolge anordnet.

In der jüdischen Tradition der hebräischen Bibel gehören Josua, Richter, Samuel und die Könige zu den prophetischen Büchern und werden als die Vorderen Propheten bezeichnet. Damit wird nicht nur der Tatsache gehuldigt, dass diese Bücher von grossen Persönlichkeiten lebt, wie Josua, Gideon, Debora, Simson, Saul, David, Salomon und die weiteren Könige, und hier auch Propheten auftreten, wie Samuel, Natan, Elia und Elischa. Es geht mit dieser Einordnung als prophetisches Buch vor allem um eine Grundaussage: Nicht alte Geschichten werden hier erzählt, sondern ein prophetischer Ruf für jede Zeit. Mit dem Buch Samuel beginnt die Geschichte des Königtums in Israel. Es schliesst an Ri 21,23 an: «In jenen Tagen gab es noch keinen König in Israel, jeder tat was ihm gefiel.» und berichtet als Antwort darauf von der Entstehung des Staates in Israel. Samuel ist der kritische Begleiter und Initiator, er setzt Saul und David ein.