Wir beraten

Die im Dunkeln sieht man nicht?   

Dieter Bauer zur Lesung am Fest der Taufe Jesu / 1. Sonntag im Jahreskreis SKZ 51-52/2006

Alttestamentliche Lesung: Jesaja 42,5a.1–4.6–7
Evangelium: Lk 3,15–16.21–22

Worauf lassen sich Menschen ein, wenn sie sich taufen lassen? Erwachsene könnten wir das fragen. Säuglinge natürlich nicht. Da müsste die Frage schon eher lauten: Was möchten wir – als Patinnen und Paten oder Eltern – unserem Kind für den Lebensweg mitgeben? Worin soll sich der Geist Gottes zeigen, in dem wir das Kind taufen lassen? Was ist das für ein Gott, in dessen Namen die Taufe vollzogen wird? Und inwiefern kann Jesus von Nazaret, dessen eigene Taufe wir heute erinnern, eine Spur vorgeben, in der es sich als Christ zu gehen lohnt?

Für den Evangelisten Lukas war klar, dass sich diese Taufe Jesu nicht verstehen lässt ohne die Geschichte seines jüdischen Volkes. Die Gottesstimme bei der Taufe Jesu klärt darüber auf: Jesus ist der «geliebte Sohn», der «Auserwählte», an dem Gott «seinen Gefallen gefunden» hat. Mit dieser Anspielung an den ersten Vers des Ersten Gottesknechtsliedes (Jes 42,1–9) ist bereits ein ganzes Programm angelegt:

Mit Israel lesen

Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze;

Das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen.

Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt,

er bringt den Völkern das Recht.

Er schreit nicht und lärmt nicht

und lässt seine Stimme nicht auf der Strasse erschallen.

Das geknickte Rohr zerbricht er nicht

und den glimmenden Docht löscht er

nicht aus;

ja, er bringt wirklich das Recht.

Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,

bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf sein Gesetz warten die Inseln.

(Jes 42,1–4)

In den finsteren Zeiten der babylonischen Gefangenschaft hat sich hier eine Stimme Gehör verschafft, die in absoluter Paradoxie zu den «Gesetzen dieser Welt» behauptet, dass sich nicht der durchsetzt, der am lautesten schreit, sondern der Ruhige und Sanfte, der Behutsame und Achtsame. Seine Beharrlichkeit wird es sein, die dem Recht, auf das alle sehnsüchtig warten, schliesslich zum Durchbruch verhelfen wird.

Seit jeher haben sich Menschen gefragt, wer das denn sein soll. Von wem sprechen diese Worte, die im zweiten Teil des Jesajabuches (Deuterojesaja) überliefert sind? Ist es der unbekannte Exilsprophet selbst, wie bereits Ibn Esra oder Rabbi Elieser von Beaugency vermutet haben? Oder ist es gar der Messias, wie eine nicht unbedeutende Auslegungstradition im Judentum behauptet? Oder spricht das Gottesknechtslied von «den Gerechten Israels», vom jüdischen Volk also, das auf lange Sicht gesehen zum «Licht für die Völker» (Jes 42,6) werden könnte.

Selbstbewusst kann etwa Rabbi D. Kimchi deuten: «Ich stütze mich auf ihn – dies ist als Gleichnis zu deuten: Wie ein König, der sich auf seinen treuen Diener stützt.» Nicht nur der Gottesknecht – Israel – kann sich also auf Gott verlassen, sondern Gott selbst kann sich auf seinen «erwählten Knecht» stützen, in einem Verhältnis gegenseitiger Zuneigung und Vertrauens.

Bild für diese Verbundenheit ist auch der «Geist» den Gott auf seinen «Erwählten»

gelegt hat. Es ist derselbe Leben schaffende Geist, der allen Menschen verliehen ist, wie es im (bei der liturgischen Auswahl des Textes leider unterschlagenen) Gottesprädikat heisst:

So spricht Gott, der Herr,

der den Himmel erschaffen und ausgespannt hat,

der die Erde gemacht hat und alles,

was auf ihr wächst,

der den Menschen auf der Erde den Atem

verleiht

und allen, die auf ihr leben, den Geist.

(Jes 42,5)

Geht man auf dieser Spur weiter, die eine bedeutende Auslegungstradition im Judentum hinter sich hat, dann wird deutlich, welchem Anspruch sich Israel stellt, wenn es diese Prophetenworte auf sich selbst bezieht:

Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit

gerufen,

ich fasse dich an der Hand.

Ich habe dich geschaffen

und dazu bestimmt,

der Bund für mein Volk

und das Licht für die Völker zu sein:

blinde Augen zu öffnen,

Gefangene aus dem Kerker zu holen

und alle, die im Dunkel sitzen,

aus ihrer Haft zu befreien.

(Jes 42,6f.)

Mit der Kirche lesen

Wenn Lukas und die frühe Kirche diese Worte auf den Messias Jesus bezogen haben, dann deshalb, weil er es war, der in ihren Augen wie kein anderer diesem Bild vom «Gottesknecht» entsprach. Immer wieder erinnern die Evangelisten an diese alten Prophetentexte, vor allem auch in der Passionsgeschichte. Speziell Lukas wird Jesus die Worte des Exilspropheten in der Synagoge von Nazaret auslegen lassen: «Heute hat sich das Schriftwort, das ihr soeben gehört habt, erfüllt» (Lk 4,21).

Die Reaktion in seiner Heimatstadt wird zeigen, dass es zweierlei ist, die altehrwürdigen Texte ergriffen anzuhören, oder daran zu glauben, dass dieser Überschuss an Verheissung Wirklichkeit werden könnte – «heute»!

Gerade dieses lukanische «heute», das der Evangelist so sehr liebt, lässt keinen Zweifel daran, dass er die Worte des Exilspropheten in die Gegenwart hinein genommen wissen möchte. Nicht damals vor 600 Jahren im Exil haben sich diese Worte «erfüllt», auch nicht zur Zeit Jesu von Nazaret, die auch für Lukas schon wieder eine Generation zurückliegt. «Heute» muss sich erweisen, ob in das Dunkel dieser Welt Licht kommt. Der «Geist des Herrn» liegt nicht nur auf dem «Gottesknecht». Er liegt auch nicht nur auf «Israel» und nicht nur auf dem Messias Jesus von Nazaret. Der Geist des Herrn, den wir als Christen in Taufe und Firmung in besonderer Weise empfangen haben, liegt auf allen Menschen «seines Gefallens». Und deshalb wird sich auch im Leben eines jeden Christen, einer jeden Christin, zeigen müssen, welches «Gesetz» gilt: das Leben schaffende, dem der «Gottesknecht» sanft, aber beständig, zum Durchbruch verhelfen möchte, oder das «Gesetz» dieser Welt, das Bertolt Brecht in seiner Schlussstrophe des «Dreigroschenfilms» geradezu klassisch beschrieben hat:

«Denn die einen sind im Dunkeln Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht.»