Wir beraten

Hals- und Beinbruch!   

Peter Zürn zum Fest der Gottesmutter Maria / Neujahr SKZ 51-52/2006

Alttestamentliche Lesung: Num 6,22–27
Evangelium: Lk 2,16–21

Wenn wir etwas vorhaben, das nicht ganz ungefährlich ist, hören wir manchmal den merkwürdigen Spruch: «Hals- und Beinbruch!». Meistens kommt er von Menschen, die es eigentlich gut mit uns meinen, die uns also nicht wünschen, dass wir uns den Hals oder das Bein brechen.Woher kommt dieser Spruch? Dahinter steckt der hebräische Ausdruck «hazlachah ubrachah», «Glück und Segen!» Aus hazlachah ubrachah wurde im Laufe der Zeit von Menschen, die kein Hebräisch verstanden, zu «Halsund Beinbruch» verballhornt. Zum Glück blieb wenigstens die Erinnerung daran erhalten, dass es dabei um etwas Gutes geht, um einen Segen. Ein Segen begegnet uns auch in der heutigen Lesung.

Mit Israel lesen

«Gott segne dich und behüte dich.

Gott lasse sein Angesicht über dir leuchten

und sei dir gnädig.

Gott wende dir sein Angesicht zu

und schenke dir Heil.»

Der sogenannte aaronitische Segen bildet den Kern der heutigen Lesung. Silvia Schroer und Thomas Staubli haben diese kunstvoll gestaltete Segensformel analysiert und gedeutet und in das biblische Verständnis von Segen eingebettet.1

Der aaronitische Segen umfasst drei Sätze: Der Erste ist ganz weit, grundsätzlich und umfassend formuliert. Gott wird um Segen gebeten, Gottes Segen bewirkt Geborgenheit. Segen im biblischen Verständnis kommt nicht durch die Worte, sondern ist bereits da. Segen ist das Gute in der Schöpfung. Segen ist überall da vorhanden, wo Leben, möglichst im Überfluss, gedeiht.Wer mit den Gütern des Lebens beschenkt wird, befindet sich unter Gottes Flügeln, in Gottes Obhut.

Der zweite Satz verweist auf die Leuchten am Himmelsgewölbe, auf Sonne und Mond, in denen Gottes Schöpfungskraft wirkt. Die Gestirne verkörpern die Rhythmen von Tag und Nacht und des Jahreslaufes, in denen das Leben sich entfalten kann. In dieser heilsamen kosmischen Ordnung wird Gott sichtbar.

Der dritte Satz bittet darum, dass Gott den Menschen ganz nahe kommt, ihnen das Angesicht zuwendet, also die menschliche Seite Gottes zeigt. Gott zeigt sich nach biblischem Verständnis ganz besonders durch Menschen, die sich einander freundschaftlich und liebevoll zuwenden.

«Die ganze Formel beginnt mit der geheimnisvollen Segensmacht Gottes und gipfelt in der ganz konkreten Erfahrung von Freundlichkeit durch die Mitmenschen.»2

Segen im biblischen Sinn steht mit ganz konkreten, erfahrbaren, ja greifbaren Dingen in Verbindung, die zum guten Leben gehören: der Saft in der Traube (Jes 65,8), der Regen zur rechten Zeit (z.B. Gen 27,27; Ps 84,7), warme Kleidung (Ps 132,15) und vieles mehr. Das Gute in der Schöpfung ist Segen. Quelle des Guten und des Segens ist Gott.Wenn Menschen segnen, vermitteln sie den Segen Gottes. Segnen lenkt den Blick, schafft Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für das Gute, es trägt dazu bei, dass der göttliche Segen ungehinderter strömen kann. So wirkt Segnen als ausdrückliche Bestärkung des Lebendigen, der guten Schöpfung, ist also «Kooperation mit dem Schöpfer».3 Segnen im biblischen Verständnis ist kein Wunsch für die Zukunft, sondern macht erkennbar, dass die Gegenwart hier und jetzt gesegnet ist.

Mit der Kirche lesen

Für die Bibel ist Segen besonders da, wo Leben heranwächst, entsprechend häufig ist im Alten und Neuen Testament im Zusammenhang mit Schwangeren und Kindern von Segen die Rede. Lesen wir das heutige Evangelium am Fest der Gottesmutter Maria also als Segensgeschichte: Maria als Kooperationspartnerin Gottes, als Vermittlerin von Segensreichem, das ist uns vertraut. Sie ist es wie jede Frau, die schwanger wird, wie jede Frau, die ein Kind zur Welt bringt. Jede Schwangerschaft und jede Geburt ist Kooperation mit der göttlichen Schöpfungskraft und kann nicht genug gewürdigt werden. Natürlich haben auch wir Männer unseren Anteil daran. Maria und Josef, Mütter und Väter sind es in besonderer Weise, die sich dem neugeborenen Kind liebevoll zuwenden und ihm die menschliche Seite Gottes zeigen, wie es im aaronitischen Segen heisst. Auch so bringen sie Gott zur Welt.

Aber auch die Hirtinnen und Hirten sind am Segen beteiligt. Sie sind die eigentlichen Handlungsträger, die Hauptpersonen im Evangelium. Ihr Blick wird darauf gelenkt, dass sich in dieser Nacht, hier und jetzt, etwas Besonderes ereignet, dass neues Leben geboren wird, neues Leben möglich wird. Sie lassen ihren Blick lenken und gehen nachschauen. Sie schauen genauer hin, werden achtsam. Sie erzählen, was ihnen über das Kind gesagt worden ist und bringen dadurch den Segen, der auf ihm liegt, ins Wort. Mir kommt aus dem Text entgegen, dass die Hirtinnen und Hirten ein feines Gespür für die Intimität des Geschehens haben. Sie wissen wann es Zeit ist, wieder zu gehen. Aber sie sind es auch, die das Erlebte öffentlich machen. Die Geburt eines neuen Menschen ist immer auch etwas von öffentlichem Interesse, hat eine gesellschaftliche, eine politische Seite. Und wenn die Gesellschaft in Kindern, in neuem Leben, in kleinen, zerbrechlichen Anfängen keinen Segen erkennt, keinen Blick dafür hat, nicht genügend Raum und Unterstützung bereitstellt, dann kann das zur Behinderung für den göttlichen Segen werden. Die Hirten im Evangelium sorgen jedenfalls dafür, dass die Kunde vom göttlichen Segen laut wird. Das ist ihre Form der Kooperation mit dem Schöpfer. Und «alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten» (Lk 2,18). Vielleicht staunten sie auch selbst, welch ungeahnte Kräfte in ihnen stecken. Auch diese Kräfte kommen ans Licht, werden in dieser Nacht gleichsam geboren. Silvia Schroer und Thomas Staubli sehen darin die Herausforderung des biblischen Segensverständnisses im Sinne einer Kooperation mit dem Schöpfer, «zu entdecken, dass in uns ungeahnte Kräfte stecken könnten».4

«Maria aber bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach» (2,19). Segen wirkt auch nach innen, braucht geschützte Orte, Zeit und Ruhe, um anzukommen und bei mir heimisch zu werden. Der aaronitische Segen schliesst auf Hebräisch mit dem Wort «schalom». Gott schenke dir Schalom. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt diesen Vers so: «Gottes Antlitz wende sich dir zu und sie schenke dir heilsame Ruhe».

Das ist für mich ein Segen für Marias Herz und für alle Herzen, die besondere Erfahrungen bewahren.

Historische Informationen
Zentrale Bedeutung bei der Vermittlung des Segens hatte in Israel der Tempel, von ihm als Wohnort Gottes auf der Erde ging der Segen ins ganze Land hinaus. Die Priester spielten eine wichtige Rolle bei der Segensvermittlung. In unserem Lesungstext ergeht der Auftrag für den Segen entsprechend an Aaron und seine Nachkommen. Aber zum Segnen sind biblisch alle ermächtigt und beauftragt: Der König wurde zum Segen, indem er Recht im Land schafft (Ps 72), auch die Erzeltern segneten ihre Kinder und über sie alle Völker. Im nachexilischen Judentum wird die Tora zum Medium des Segens, das Halten der Gebote zur Vermittlung wichtiger als der Tempel.

1 Silvia Schroer / Thomas Staubli: «Wie man sagt, wenn Saft in der Traube sich findet: Verdirb sie nicht, es ist ein Segen darin» (Jes 65,8). Bedenkenswertes zum Segen aus biblischer Sicht, in: Li Hangartner / Brigitte Vielhaus (Hrsg.): Segnen und gesegnet werden. Reflexionen – Impulse – Materialien. Düsseldorf 2006, 30–42.
2 Ebd. 34.
3 Ebd. 41.
4 Ebd.
5 Ebd. 37f.