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Zur «Bibel in gerechter Sprache»   

Interview mit Dieter Bauer

Seit Oktober ist die «Bibel in gerechter Sprache» auf dem Markt. Die neue Bibel möchte laut Werbetexten die Menschen in einer unkomplizierten, zeitgemässen Sprache ansprechen. Dieter Bauer von der Bibelpastoralen Arbeitsstelle sieht in einem Buch wie der «Bibel in gerechter Sprache» die Chance, auf Entwicklungen innerhalb der Theologie angemessen reagieren zu können. Gleichzeitig hat er aber auch grosse Zweifel, wenn ursprünglich historische «Ungerechtigkeiten» in einem Text nicht mehr sichtbar sind. Im Gespräch mit Roger Fuchs erläutert Dieter Bauer seine Gedanken.

Roger Fuchs: Die Bibel in gerechter Sprache ist auf dem Markt. Was will dieses Buch?

Dieter Bauer: Die «Bibel in gerechter Sprache» möchte vor allem «geschlechtergerecht» sein und den jüdischen Geschwistern gegenüber Gerechtigkeit widerfahren lassen, was sich in zahlreichen Änderungen am bisherigen Bibeltext bemerkbar macht.

Können Sie ein Beispiel geben?

Um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, wurde beispielsweise im Neuen Testament das Wort Jünger überall durch Jüngerinnen und Jünger ersetzt. Ein gutes Beispiel für Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum ist die Vermeidung der pauschalen Redeweise von «den Juden». Mit dem Argument, dass Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger ebenfalls Juden gewesen seien, wird nun mit «andere jüdische Menschen» übersetzt.

Für Sie als Bibelkenner ist das wahrscheinlich völliger Unsinn?

Das Wort Unsinn würde ich nicht gebrauchen. Aber es ist schon so, dass ich meine Zweifel daran habe, wenn einfach durch Änderungen in der Übersetzung oder durch Einträge von vermeintlich «Fehlendem» die Bibel revidiert wird. Gerade das Beispiel mit «den Juden» zeigt, dass der offensichtlich antijudaistische Text durch die Umformulierung entschärft wird. Dies verhindert eine gute Auseinandersetzung mit dem Text. Auch bei der Geschlechtergerechtigkeit kann man über das Ziel hinausschiessen, wie Matthäus 23, Vers 25, zeigt: Hier werden ehemals als «Heuchler» beschimpfte «Pharisäer und Schriftgelehrte» zu «Scheinheiligen unter den toragelehrten und pharisäischen Männern und Frauen». Ob die scheinheiligen Pharisäerinnen aber wirklich das sind, was in bisherigen Bibelausgaben gefehlt hat, bezweifle ich.

Wo liegen denn die Chancen dieser neuen Bibelübersetzung?

Jede neue Bibelübersetzung bietet die Möglichkeit, auf Entwicklungen innerhalb der Theologie angemessen reagieren zu können. Spätestens seit der Vernichtung von Millionen Juden im vergangenen Jahrhundert in Europa ist unübersehbar geworden, dass auch die Kirchen zum Antisemitismus beigetragen hatten, indem sie antijudaistisch interpretierbare biblische Aussagen des Neuen Testaments nicht entsprechend kommentiert, sondern einfach nur weitergegeben haben. Und zweitens widerfährt in den biblischen Texten, die ganz überwiegend in einem von Männern dominierten Umfeld entstanden sind, den Frauen nicht die Gerechtigkeit, die ihnen aus Gründen der Menschenwürde zusteht. Auch da hat die «Bibel in gerechter Sprache» versucht, einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen.

Trotz dieser positiven Aspekte: Darf ein historischer Text so überarbeitet werden, dass er zeitgemäss daher kommt und die ursprünglichen, historischen «Ungerechtigkeiten» nicht mehr sichtbar sind?

Eben nicht. Eine Übersetzung soll den Urtext wiedergeben in seiner ursprünglichen Intention. Und das, auch wenn einem diese heute nicht mehr in den Kram passt. Die Kritik am Text gehört in einen Kommentar oder die Predigt. Ich kann nicht von heute her bestimmen, was der Text zu sagen hat und was nicht.

Die grosse Frage ist jetzt natürlich, ob es diesem Buch gelingen wird, die Menschen wieder zum Bibellesen zu motivieren?

So schön es wäre, ich glaube es nicht. Und wahrscheinlich war dies auch nicht die die hauptsächliche Absicht. Nach dem, was ich bisher an Erfahrungen mit der «Bibel in gerechter Sprache» gemacht habe, richtet sie sich vor allem an biblische Insider. Das sind Menschen, die sich sowieso intensiv mit der Bibel auseinander setzen, die sich vielleicht ärgern über unsinnig frauenfeindlich übersetzte Stellen oder eine biblische Sprache, die dem Judentum gegenüber einfach nicht gerecht wird. Sie werden sich über diese neue Übersetzung freuen, weil sie vielfältige Anregungen bietet, über die eine oder andere Bibelstelle intensiver nachzudenken.

An welche Anregungen denken Sie?

Wenn beispielsweise das harte «Ich aber sage euch» in der Bergpredigt mit «Ich lege euch das heute so aus» übersetzt wird, dann wird klar, dass sich Jesus nicht gegen das Alte Testament stellt, sondern es wie andere Rabbis seiner Zeit auslegt. Da wird meines Erachtens tatsächlich ein Missverständnis vermieden, das schlimme Folgen hatte, und ein Text für das Gespräch fruchtbar gemacht, wie denn die Zehn Gebote heute auszulegen seien.

Was empfehlen Sie Menschen, die eine Bibel kaufen wollen: die traditionelle Ausgabe oder das neue Werk?

Wer nicht kirchlich bereits durch eine Übersetzung geprägt ist und auch sonst bisher keinen Bezug zur Bibel hatte, dem würde ich weiterhin die bereits geschlechtergerecht revidierte und ökumenisch anerkannte «Gute Nachricht Bibel» empfehlen. Die «Bibel in gerechter Sprache» ist eine typische «Zweit»- oder «Dritt»-Übersetzung. Sie entfaltet ihren Reiz und ihre Kraft im Vergleich mit anderen Übersetzungen, indem sie oftmals gegen den Strich übersetzt und damit das Wort Gottes in seiner ganzen Vielfalt aufleuchten lässt. Daneben behält aber eine traditionell kirchliche Bibelausgabe wie die Einheitsübersetzung weiterhin ihren Wert als Erstbibel.

Was heisst das, welches Fazit ziehen Sie?

Jedes neue Übersetzungsprojekt lohnt sich, weil es neues Licht auf die Bibel wirft. Und auch dieses Projekt hat sich ganz sicher gelohnt. Man darf nur nicht meinen dass dieser Wurf nun alle anderen Bibelübersetzungen alt aussehen lässt oder gar überflüssig macht.