Wir beraten

Von Galiläa nach Paris. Maria Magdalena und der Da Vinci Code   

Predigt von Peter Zürn in St. Maria Magdalena, Untereggen SG am 2.7.2006

Lesung: Jes 2,2-5
Evangelium Lk 8,1-3

Liebe Schwestern und Brüder,

Das Evangelium, das wir eben gehört haben, berichtet, dass viele Menschen, Männer und Frauen, mit Jesus unterwegs waren. Eine dieser Begleiterinnen Jesu, eine der Frauen, die Jesus nachfolgten, war Maria Magdalena. Ihr Weg mit Jesus begann in Galiläa. Er begann mit einer heilsamen Erfahrung. Ich möchte gerne den Weg Maria Magdalenas mit Ihnen gemeinsam nachgehen und dabei durch Zeit und Raum wandern. Von der biblischen Zeit vor 2000 Jahren durch die Kirchengeschichte bis in unsere Gegenwart heute. Maria Magdalena beschäftigt Menschen seit 2000 Jahren, immer wieder entstehen neue Geschichten von ihr. Ich möchte den Weg Maria Magdalenas entlang solcher Geschichten von ihr nachgehen, Geschichten aus der Bibel, Legenden, bis hin zu einer ganz aktuellen Geschichte, in der sie eine zentrale Rolle spielt, dem Buch Sakrileg, aus dem inzwischen der Film «The Da-Vinci-Code» geworden ist, der gerade in unseren Kinos läuft. Wichtige Teile dieses Filmes spielen in Paris, deswegen wird uns unser Weg mit Maria Magdalena von Galiläa nach Paris führen.
Und schliesslich wird uns unser Weg mit Maria Magdalena auch durch Ihre Kirche hier in Untereggen führen. Maria Magdalena ist die Patronin Ihrer Kirche. Hier finden sich zahlreiche Darstellungen von Maria Magdalena. An einigen davon möchte ich entlanggehen. Also ein dreifacher Weg, 2000 Jahre durch die Zeit, von Galiläa nach Paris und durch die Kirche St. Maria Magdalena. Ich vertraue darauf, dass eine Gemeinde, die am Jakobsweg liegt, am Unterwegssein Freude hat. Unser Weg möge ein Weg im Licht Gottes sein, wie ihn der Prophet Jesaja in der Lesung verheissen hat.

Unser erstes Stück Weg führt uns in die Bibel. Wir haben im Evangelium gehört, dass Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf wandert und das Reich Gottes verkündet. Maria Magdalena erlebt das, was Reich Gottes bedeutet, am eigenen Leib. Dass das Reich Gottes anbricht, ist heilsam für Menschen. Geister und Krankheiten, die unser Leben beherrschen, verlieren ihre Macht über uns. Ich weiss nicht, welche 7 Dämonen Maria Magdalena das Leben schwer machten. Ich kenne einige Geister in mir, die mir mein Leben schwer machen. Die Vorstellung etwa, ich bin nur etwas wert, wenn ich etwas leiste. Und damit der Druck, immer mehr zu leisten, um etwas wert zu sein. Das ist durchaus ein Dämon, der krank macht. Ich vermute, wenn Sie bei sich nachschauen, dann finden sie auch solche Geister, die ihr Leben schwer machen.
Ich kann mir vorstellen, wie es Maria Magdalena ging, als sie von 7 solcher Dämonen befreit wird. Als die nicht mehr ihr Leben beherrschten. Als sie die Erfahrung machte, dass das Leben ganz anders sein kann, reicher, erfüllter. Jesus gab dieser Erfahrung den Namen «Reich Gottes». Als es ihr möglich wurde, anders zu leben, andere Entscheidungen zu treffen, andere Wege zu gehen, da entschied sich Maria Magdalena dafür, mit diesem Jesus zu gehen und ihn und seine Botschaft vom Reich Gottes zu unterstützen, mit allem, wass sie besass. Auch mit dem, was sie an Fähigkeiten besass.
Maria Magdalena zieht mit Jesus von Galiläa nach Jerusalem. Sie bleibt bei ihm auch als es gefährlich wird, lebensbedrohlich. Sie bleibt in seiner Nähe auch am Kreuz. Dafür brauchte es einigen Mut, denn die Römer betrachteten die Menschen, die sie kreuzigten als politische Aufrührer und achteten darauf, wer ihnen besonders nahe stand, um die ebenfalls zu verhaften und auszuschalten. Die meisten der Jüngerinnen und Jünger, die Jesus nachgefolgt waren, verlassen ihn vor seinem Tod. Zu den wenigen, die bleiben, gehört Maria Magdalena.
Sie gehört auch zu den Frauen, die später zum Grab Jesu gehen, um den Leichnam zu salben. Sie macht als eine der ersten die Erfahrung, dass mit dem Tod Jesu nicht alles vorbei ist, was er verkündet und verkörpert hat. Sie begegnet dem Auferstandenen am Ostermorgen und hält ihn zunächst für einen Gärtner. Diese Szene zeigt das Bild hier oben an der Decke des Chors. Jesus trägt eine Gärtnerschaufel. Er trägt aber auch die tödlichen Verwundungen des Gekreuzigten. Aber er lebt. Maria Magdalena macht die Erfahrung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass das Leben stärker ist als der Tod. Am Ostermorgen wird ihr also bestätigt, was sie schon in Galiläa erfahren hat. Uns ist das Leben in Fülle verheissen, vor dem Tod und über den Tod hinaus. Sie bekommt den Auftrag, diese Erfahrung und diese Botschaft den anderen Jüngerinnen und Jüngern zu verkünden. Sie wird die Verkünderin, die Apostelin der Apostel.

Maria Magdalena ist mit Jesus unterwegs, in Galiläa, am Kreuz, am Ostermorgen. Das sind die drei wesentlichen Stationen seines Lebens. Maria Magdalena ist Begleiterin und Zeugin seines gesamten Lebens und Wirkens. Sie ist die einzige biblische Person, die an allen drei Stationen dabei ist. Sie spielt also eine ganz besondere Rolle in der Gruppe um Jesus. Und als Apostelin der Apostel spielt sie eine ganz besondere Rolle in der jungen Kirche.

Diese ganz besondere Rolle hat Maria Magdalena auch im Film «The Da-Vinci-Code». Dort gilt sie als die Frau, die Jesus besonders geliebt hat, mit der er verheiratet war und der er die Verantwortung für die Kirche übertragen hat. Der Film behauptet, dass diese Wahrheit über Maria Magdalena nicht in der Bibel zu finden ist. Er findet sie in den Evangelien, die nicht in die Bibel aufgenommen worden sind, den sogenannten Apokryphen Evangelien. Die Evangelien, die in der Bibel stehen, seien nur Täuschungen und Verschleierungen. Schade, dass die biblischen Texte nicht genauer gelesen wurden. Sie zeigen doch, wie wir gesehen haben, die besondere Rolle und Bedeutung von Maria Magdalena. Sie zeigen sie als Begleiterin Jesu an den wesentlichen Stationen seines Lebens. Sie zeigen ihre besondere Verantwortung als Apostelin der Apostel. Wofür es keinen Beleg gibt, und zwar weder in der Bibel, noch in den apokryphen Evangelien, ist eine Ehe zwischen Jesus und Maria Magdalena.

Die besondere Bedeutung Maria Magdalenas ist aber in der Kirche nicht weitergeführt worden. Die Kirche hat sich vor allem in die Tradition der männlichen Apostel gestellt. Aus den biblischen Zeugnissen von Maria Magdalena als Begleiterin Jesu und Apostelin der Apostel hätte sich eine andere Kirche entwickeln können, eine in der Frauen und Männer gleichberechtigt Verantwortung für die Botschaft vom Reich Gottes tragen. Dass das nicht geschehen ist, wird zurecht von vielen Seiten kritisiert. Auch vom Film «The Da Vinci Code». Leider geht der Film selber nicht wirklich weiter als die Kirche, die er kritisiert. Maria Magdalena ist im Film vor allem die Frau Jesu und die Mutter seiner Kinder. Auch im Film dominieren die Männer die Geschichte.

In der Mitte des Schiffs:
Maria Magdalena übernimmt keine Leitungsposition in der Kirche, ihre Spuren verlieren sich. Das Bild, das man sich von ihr macht, wird immer negativer. Sie wird moralisch abgewertet. Das geschieht zum Beispiel dadurch, dass man sie mit anderen Frauengestalten aus der Bibel, deren Namen unbekannt sind, gleichsetzt. Die stärkste Wirkung hatte zweifellos ihre Gleichsetzung mit einer namenlosen Sünderin, die Jesus mit ihren Tränen die Füsse wäscht, sie mit ihrem Haar trocknet und sie mit Öl salbt. Diese Szene ist hier in der Kirche an dieser zentralen Stelle abgebildet. Man sieht die Frau, wie sie Jesu Füsse mit ihren Haaren trocknet. Diese Szene steht im Lukasevangelium direkt vor dem Text, den wir als Evangelium gehört haben, das machte die Gleichsetzung leichter, aber im Text selber gibt es überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür: die Jüngerin und spätere Apostelin Maria Magdalena hat historisch nichts mit der Sünderin auf diesem Bild zu tun. Aber die Gleichsetzung erfüllte ihren Zweck. Maria Magdalena bekam einen schlechten Ruf. Die Dämonen, von denen sie befreit wurden, waren plötzlich die Dämonen der Sünde, der Hurerei, des Ehebruchs. Sie war moralisch abgewertet, nur als reuige Sünderin und Büsserin behielt sie ihren Platz in der kirchlichen Überlieferung. Die Jüngerin und Apostelin verschwand weitgehend hinter diesem Bild.

Dabei hätte man Maria Magdalena durchaus auch mit einer anderen namenlosen, salbenden Frau gleichsetzen können. Im Markusevangelium wird von der Salbung Jesu in Betanien erzählt (Mk 14). Eine namenlose Frau kommt zu Jesus als der in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen zu Gast ist, sie zerbricht ein Gefäss mit kostbarem Nardenöl und salbt Jesus das Haar. Stellen Sie sich dieses Bild vor. Da ist keine Rede von einer Sünderin. Da stehen sich zwei auf gleicher Höhe gegenüber. Da vollzieht eine Frau eine rituelle, zeichenhafte Handlung, da endet der Text mit einem Satz, der der Apostelin Maria Magdalena auf den Leib beschrieben ist: «Überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.» Wäre die Geschichte des Christentums anders verlaufen, wenn dieses Bild von Maria Magdalena sich herausgebildet hätte? Wenn wir dieses Bild im Kopf hätten, wenn wir an Maria Magdelana denken und wenn dieses Bild immer wieder gemalt und an zentralen Stellen in Kirchen angebracht worden wäre? Wie würde Ihnen dieses Bild an der Decke Ihrer Kirche gefallen? Lassen Sie es doch, wenn Sie hier nach oben sehen, durch das Bild, das jetzt hier zu sehen ist, durchscheinen.
Maria Magdalena fordert uns heraus, uns immer wieder neue Bilder von ihr zu machen. Das tut auch der Film «The Da Vinci Code».

Decke über der Orgel:
Wie gesagt, die Spuren der historischen Person Maria Magdalena verlieren sich, sie ist aber eine der biblischen Figuren, über die am meisten Legenden gebildet und erzählt werden. Viele davon sind in der Legenda aurea, dem vielleicht meistgelesenen und wirkmächtigsten Buch des Mittelalters gesammelt. Auch der Film «The Da Vinci Code» schöpft aus den Legenden um Maria Magdalena, die sich dort finden. Die Legenda Aurea erzählt, wie Maria Magdalena nach Südfrankreich kommt und wie sie dort als Predigerin, als Apostelin wirkt. Sie erzählt aber auch, dass sich Maria Magdalena als Einsiedlerin und Büsserin in eine Höhle in einer abgelegenen, wüstenartigen Gegend zurückzieht. Bei der Ausgestaltung dieser Legende wird sie mit einer anderen historischen Maria gleichgesetzt, der sogenannten Maria Aegyptica. Sie lebte als Einsiedlerin im 6. Jahrhundert östlich des Jordans in der Wüste. Als ihr die Kleider zerfielen, diente ihr ihr langes Haar als Gewand. Diese Motive flossen in das Bild von Maria Magdalena ein, das lange Haar passte wiederum gut zur Füsse trocknenden Sünderin von vorhin. So zeigt das Bild hier oben an der Decke die Büsserin Maria Magdalena mit den langen Haaren in einer Höhle und einer kargen Umgebung.
Maria Magdalena ist eine Figur, die Legenden erzeugt. Seit 2000 Jahren schreiben Menschen an ihrer Geschichte weiter. Sie regt Künstlerinnen und Künstler zu Bildern an. Bis heute. Ihre Geschichte ist nicht zu Ende. Menschen wollen in Wort und Bild an ihre Geschichte anknüpfen, sie wollen die alte Geschichte Maria Magdalenas mit der jeweiligen Gegenwart verbinden. So entstehen Bilder durch die ganze Kunstgeschichte, so entstehen Romane und Musicals, so entsteht auch der Film «The Da Vinci Code».
Der Film übernimmt aus der Legenda aurea Maria Magdalenas Weg nach Frankeich. Er erzählt davon, dass nach ihrem Tod ihr Leichnam an verschiedenen Orten aufbewahrt und verehrt wird. Am Ende des Filmes entdeckt die Hauptperson des Films, der Symbolforscher Robert Langdon schliesslich den Sarkophag verborgen unter der grossen Glaspyramide, die den Eingang zum Louvre in Paris überragt. So gelangt also Maria Magdalena von Galiläa nach Paris.
Der Film übernimmt aus der legenda aurea auch den Hinweis, dass Maria Magdalena aus einem königlichen Geschlecht abstammt. Durch die Heirat mit Jesus, der ja vom König David abstammt, vereinigen sich zwei Königshäuser. Der Film entwickelt diese Idee weiter: Maria Magdalena und Jesus haben ein Kind, ihre Nachkommen leben bis heute und bilden eine Königsdynastie, die Anspruch auf den französischen Königsthron erheben könnte.
Allerspätestens jetzt verlässt der Film das, was Jesus nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes wichtig war: auf die Frage, wer seine Familie ist, deutet er auf die Menschen, die um ihn herum sitzen, die Menschen, die mit ihm unterwegs sind, die mit ihm das Reich Gottes verkünden und es erfahrbar machen und sagt: «Das sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter» (Mk 3,34bf.)
Wenn am Ende des Films die weibliche Hauptperson Sophie Neveau entdeckt, dass sie eine Nachkommin Jesu ist, dann können wir alle sagen: Willkommen bei uns. Wir gehören alle zur Familie Jesu. Wir sind deine Brüder und Schwestern. Die Biologie spielt dabei keine Rolle.

Wir sind mit Maria Magdalena einen weiten Weg gegangen. Jetzt lade ich Sie zu einer letzten Wegstrecke ein. Hin zu dieser Figur von Maria Magdalena und hin zu Ihrem persönlichen Bild von dieser Frau. Ich lade Sie alle ganz persönlich ein, den Weg mit Maria Magdalena weiterzugehen. Wie können wir an Maria Magdalenas Geschichte anknüpfen? Was verbindet uns mit ihr?
Ich möchte Ihnen 4 Anknüpfungspunkte zeigen:
1. Maria Magdalena hat am eigenen Leib erfahren, was Reich Gottes bedeutet: die heilsame Erfahrung, dass die Dämonen, die Leben verhindern, nicht das letzte Wort haben, dass ein andres Leben, mehr Leben, das Leben in Fülle auch über den Tod hinaus möglich ist und es jetzt, heute und hier anfangen kann. Wir alle kennen Geister, die Leben verhindern. In uns allen klingt aber auch etwas an, wenn vom Leben in Fülle die Rede ist: Sehnsucht, Auferstehungserfahrungen. Wir sind alle zu Apostelinnen und Aposteln berufen, um von unseren Erfahrungen mit Tod und Leben zu erzählen. Dafür stehen diese Rosen.
2. Maria Magdalena gehört wie viele andere, namentlich bekannte und namenlose Frauen und Männer zu unseren Vorgängerinnen in der Nachfolge Jesu. Wir stehen in ihrer Tradition und verdanken ihnen viel. Wir haben aber auch eine Verantwortung ihnen gegenüber: wir sind dafür verantwortlich, an welche Ahninnen und Ahnen wir uns erinnern und welches Bild wir uns von ihnen machen. Manchmal bedürfen die Bilder der Ergänzung oder gar der Korrektur, damit wir uns nicht nur als reuige Sünderinnen mit Maria Magdalena identifizieren können, sondern auch als starke Frauen und Männer, die etwas besonders Kostbares zur Geschichte Jesu beitragen wollen. Dafür stehen diese Rosen.
3. Die Geschichte der Menschen, die mit Jesus unterwegs waren und sind, ist nie fertig erzählt. Wir sind herausgefordert, sie in unserer Zeit neu zu erzählen, auch kreativ und neu, auch provozierend. Der da Vinci Code tut das auf spannende Weise, wenn auch manches daran falsch und ärgerlich ist. Erzählen wir genauso spannende, aber bessere Geschichten. Dafür stehen diese Rosen.
4. Am Ende des Filmes vom da Vinci Code findet die Hauptperson, Sophie Neveau, ihre Familie. Ihre Sehnsucht nach verbindlichen Beziehungen erfüllt sich. Wir haben vermutlich alle diese Sehnsucht nach verbindlichen Beziehungen. Wir sind herausgefordert, die Erfüllung dieser Sehnsucht nicht nur in unserer leiblichen Familie zu suchen, sondern auch in der Gemeinschaft derer, die mit Jesus auf dem Weg sind. Wir nennen diese Gemeinschaft Kirche. Wo der Film aufhört, fängt das eigentliche Abenteuer an: das Zusammenleben in dieser Familie Kirche. Wir sind herausgefordert es mit zu gestalten. Dafür stehen diese Rosen.

Amen.