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Was hat die Kirche unterdrückt? Zu den biblischen Hintergründen von «Sakrileg/Da Vinci Code»   

Horizonte 17/2006

Das Buch «Sakrileg» von Dan Brown ist ein Roman, genauer ein Kriminalroman. Und in einem Roman sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Natürlich wirkt es glaubwürdiger, wenn ein Kriminalroman gut recherchiert ist. Aber im Allgemeinen merken nur Insider, dass nicht alles so hundertprozentig stimmt. Dan Brown stellt in seinem Roman z. B. einige Thesen auf, die durchaus hinterfragbar sind.

War Jesus von Nazaret verheiratet? Schon lange wird behauptet, dass Jesus als Jude eigentlich verheiratet gewesen sein muss. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass diese Sicht des Judentums eher eine Rückprojektion aus späterer Zeit ist, als sich das Judentum massiv gegen das Christentum und seine zölibatären Ideale abzugrenzen begann. Ob Jesus verheiratet war, lässt sich historisch gesehen weder beweisen noch widerlegen. Aber es ist doch eher unwahrscheinlich, zumal sich in den ältesten Quellen wirklich gar kein Hinweis in dieser Richtung findet.

Wer war Maria von Magdala? Der Frau, die in sämtlichen Evangelien (mit nur einer Ausnahme!) stets als erste unter den Frauen genannt wird, die Jesus von Nazaret von Anfang an nachgefolgt sind bis unter das Kreuz, die seiner Grablegung beigewohnt hat und auch die erste Zeugin der Auferstehungsbotschaft war, ist im Laufe der Kirchengeschichte tatsächlich furchtbares Unrecht geschehen. Schon früh wurde ihre Gestalt mit der von drei anderen Frauen verschmolzen, von denen eine Salbung Jesu erzählt wird (Lk 7,36-50; Mk 14,3-9; Joh 12,1-11). Maria von Magdala kommt zwar in keiner einzigen dieser Salbungsgeschichten vor. Und doch genügte die Namensgleichheit mit Maria von Betanien (Joh 12) und der Hinweis, dass Jesus aus Maria von Magdala sieben Dämonen ausgetrieben habe (Lk 8,2), sie zur «Dirne» und «Sünderin» abzustempeln. Papst Gregor der Grosse schliesslich verordnete 591, dass Maria von Magdala, Maria von Betanien und die salbende Sünderin aus Lk 7 ein und dieselbe Person seien. Und es dauerte bis 1978, dass die römisch-katholische Kirche dies in ihrem Brevier wieder rückgängig gemacht hat.

Dan Brown weist auf «apokryphe», d. h. nicht ins Neue Testament aufgenommene Evangelien hin, die belegen sollen, dass Maria von Magdala und überhaupt Frauen in der frühen Kirche eine wichtigere Rolle gespielt haben. Alle diese Evangelien, das Thomasevangelium, das Philippusevangelium und das Mariaevangelium, sind erst nach den Evangelien des Neuen Testamentes entstanden und entstammen aus der Gnosis, einer Art «Gegenkirche» zur römischen, die sich auf den Apostel Petrus berief. Was hier allerdings auf den ersten Blick so emanzipatorisch und frauenfreundlich daherkommt, war in Wirklichkeit eine sehr leibfeindliche Glaubensrichtung, die die Leidensfähigkeit des Gottessohnes Jesus Christus bestritt und Frauen nur akzeptierte, wenn sie «männlich» geworden waren.

Was hat die Kirche unterdrückt? Dan Brown hat Recht, wenn er sagt, dass die Kirche diese Überlieferungen unterdrückt hat. Die Gnosis wurde tatsächlich als Häresie verdammt, weil sie unter anderem die Menschlichkeit Jesu Christi nicht akzeptieren wollte. Gnostische Gemeinden wurden ausgegrenzt, und ihre Schriften sind schliesslich untergegangen. Bis vor etwa 100 Jahren hatten wir fast überhaupt keine Originalquellen der Gnostiker. Erst mit den Schriftfunden von Nag Hammadi 1945 kamen solche apokryphen Evangelien wieder ans Tageslicht. Barer Unsinn ist es hingegen zu behaupten, die Kirche habe die Veröffentlichung dieser Schriften im letzten Jahrhundert behindert. Im Gegenteil, es waren christliche Theologinnen und Theologen, die diese Schriften erforscht und interpretiert und damit das Bild der frühchristlichen Kirche in ihrer ganzen faszinierenden Vielfalt offen gelegt haben.

Dieter Bauer, Bibelpastorale Arbeitsstelle

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