Wir beraten

Massimo Grilli / Cordula Langner, Das Matthäus-Evangelium   

Buch des Monats November 2010

Mit dem 1. Advent beginnt wieder ein Matthäus-Lesejahr in unserer Kirche, und dazu sind einige neue Kommentare erschienen. An dieser Stelle sei besonders auf den «Kommentar für die Praxis» aus dem Verlag Katholisches Bibelwerk hingewiesen.
Die Reihe, in der nun die Kommentierungen zu den Evangelien vollständig und auch eine zur Apostelgeschichte vorliegen, ist das Ergebnis eines interkulturellen Projekts «Evangelium und Kultur», in welchem BibelwissenschaftlerInnen aus Europa, Asien, Lateinamerika und Afrika zusammenarbeiten, um Zugänge für heutige BibelleserInnen zu entwickeln. Der vorliegende Band zum Matthäusevangelium wurde gemeinsam verfasst von dem Italiener Massimo Grilli und der Deutschen Cordula Langner, die auch Erfahrungen als Dozentin in Mexico mitbringt.
Das spezielle Anliegen dieses Bandes ist es, die enge Verbindung des Evangeliums mit dem jüdischen Mutterboden aufzuzeigen, in dem das Christentum verwurzelt ist. Hinzu kommt ein Schwerpunkt auf der strukturellen Analyse der Texte mit dem Ziel, die vielfältigen Verknüpfungen der einzelnen Perikopen mit anderen Texten des Evangeliums, aber auch innerhalb des Gesamts der biblischen Texte zu zeigen. Dass sich in dieser Hinsicht das Matthäusevangelium besonders anbietet, liegt auf der Hand.
Nach einer relativ knappen, aber substantiellen Einführung in das Matthäusevangelium folgen methodische Vorbemerkungen und Hinweise auf das Vorgehen des Kommentars. Zu jeder Perikope wird immer im selbem Dreischritt vorgegangen:
Nach einem Abdruck einer wörtlichen Übersetzung des zu kommentierenden Abschnitts, der in einer speziellen Anordnung in Sinnzeilen erfolgt, kommen als erstes Beobachtungen zur «Gewebestruktur des Textes». In diesem Abschnitt finden sich formale Beobachtungen wie die Beziehungen zwischen den Worten, der Satzbau, stilistische Formen, Abschnittsgliederung u.s.w.
Der zweite Anschnitt nennt sich: «Das semantische Geflecht des Textes». Dort wird stärker auf die Inhalte und speziell die Bedeutung der Worte abgehoben. In diese Analyse wird nicht nur der weitere Kontext des Matthäusevangeliums, sondern überhaupt der Horizont der jüdischen Schriften miteinbezogen.
Der dritte Schritt betrifft «pragmatische Knotenpunkte des Textes». Hier geht es dann um die «Botschaft» des Textes und die Anwendungsmöglichkeiten für die Lesenden. Es wird auf Identifikationsangebote des Textes hingewiesen, die es den Lesenden ermöglichen sollen, den Weg in die Nachfolge des Messias zu finden: das Hauptanliegen des Matthäusevangeliums.
Auffällig – und sicher dem methodischen Konzept geschuldet – ist, dass zwar eine Fülle synchroner Bezüge auf der Textebene gegeben werden, die diachronen Hinweise auf das ältere Markusevangelium demgegenüber aber äusserst spärlich ausfallen. Allerdings kann man diese zur Genüge in den klassischen Standardwerken zum Matthäusevangelium finden, wo der Schwerpunkt tatsächlich oft im synoptischen Vergleich liegt.
Doch weiter beim Positiven: Der klare Aufbau des Kommentars und die konsequente Durchführung des methodischen Konzepts im vorliegenden Kommentar sind tatsächlich eine grosse Hilfe. Bereits die jeweils vorgegebene Gliederung der Übersetzung in Sinnzeilen und Einzelabschnitte ermöglichen erste Entdeckungen am Text ohne noch eine kommentierende Zeile gelesen zu haben. Diese Ermöglichung einer grösseren Kompetenz der Bibellesenden ist nur zu begrüssen. Mich persönlich stören bei diesen Gliederungen zwar die eingefügten kommentierenden Zwischenüberschriften. Mir wäre der reine Text lieber gewesen, aber man kann sie ja auch «überlesen».
Die methodischen Schritte, welche die beiden AutorInnen jedes Mal gehen, bieten eine Fülle von Anregungen zum Weiterdenken. Sie sind zwar durchaus anspruchsvoll geschrieben und nicht immer leicht zu lesen (s. u.), aber die Mühe lohnt sich in jedem Fall!
Negativ fiel mir auf: Bei einem «Kommentar für die Praxis», der ja offensichtlich nicht für ein exegetisches Fachpublikum, sondern für eine breitere LeserInnenschaft gedacht ist, stört mich die Fachterminologie. Muss man die literaturwissenschaftlichen Fachtermini Syntax – Semantik – Pragmatik, die nur Fachleuten etwas sagen, wirklich immer wieder in Erinnerung rufen? Ich fürchte, man erschwert durch diese Insidersprache den Zugang für «normale» Bibellesende eher.
Auch dass man sich in einem Buch des Katholischen Bibelwerks nicht an die Namensschreibung der Einheitsübersetzung hält («Loccumer Richtlinien»), ist ärgerlich. So spukt wieder ein Joseph mit dem griechischen «ph» durch das Evangelium, und die Schreibungen der jüdischen Könige gehen wild durcheinander: Im Matthäustext sind sie griechisch, z. B. Solomon statt Salomo, Jessai statt Isai, Jechonias statt Jojachin etc., im kommentierenden Text finden sich dann plötzlich hebräische Schreibungen wie Jojakim und Jojachin. Das ist nicht nur unnötig, sondern verwirrt in einer Zeit, wo man froh sein muss, wenn die biblischen Eigennamen überhaupt bekannt sind und zumindest für Gottesdienstbesucher und Bibellesende wiedererkennbar.
Sieht man von diesen «Erschwernissen» aber ab, so lohnt es sich auch für «normale» Bibellesende, diesen Kommentar in die Hand zu nehmen. Ich würde sogar empfehlen, mit diesem Kommentar ein persönliches Matthäuslesejahr zu gestalten, in dem man sich täglich einen Abschnitt vornimmt. Gerade die «pragmatischen Knotenpunkte», auf die am Ende eines jeden Abschnitts hingewiesen wird, bieten eine wahre Fundgrube für die persönliche Schriftmeditation und christliche Lebensgestaltung.
Dieter Bauer

Massimo Grilli / Cordula Langner, Das Matthäus-Evangelium. Ein Kommentar für die Praxis, (Katholisches Bibelwerk) Stuttgart 2010, 455 S., Kt., € 24.90, ISBN: 978-3-460-33120-4

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