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Ralf König, Prototyp und Archetyp   

Bücher des Monats Februar 2010

Welches sind die 20 wichtigsten Bibeltexte? Das hängt davon ab, welche Kriterien man anlegt. Bei der Reihe «Die 20 wichtigsten Bibeltexte», die die Bibelpastorale Arbeitsstelle anlässlich des Jubiläumsjahres des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks im Jahr 2010 in der Gemeinde St. Antonius in Wallisellen durchführt, galt folgendes Kriterium: Wichtig sind die 20 Bibeltexte, die heute noch in der öffentlichen Kultur unserer Gesellschaft präsent sind – von der Werbung über Zeitungsartikel, Filme, Musik, Literatur bis hin zu den gesetzlichen Feiertagen. Zu den Bibeltexten dieser Reihe gehören die Geschichte von Adam und Eva im Paradies und die von Noah und der Sintflut. Diese Auswahl wird bestätigt durch zwei Comics, die 2008 und 2009 erschienen sind. Gezeichnet und getextet sind sie von Ralf König, der 1987 mit dem Comic «Der bewegte Mann», der auch als Film überaus erfolgreich war, seinen Durchbruch hatte. Er gilt als erfolgreichster Comiczeichner der Schwulenszene (so der Klappentext in den hier vorgestellten Büchern) und erhielt mehrfach Auszeichnungen als bester deutscher und internationaler Comiczeichner, so etwa 2006 auf dem internationalen Comic-Salon Erlangen den Spezialpreis der Jury für seine künstlerische Stellungnahme im Streit um die Mohammed-Karikaturen. Seit 2007 zeichnet König für die Comicseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Dafür entstanden die Storys, die im Banen und Neuen Testament. Prototyp spielt im Garten Eden, die Hauptpersonen sind Gott, die Schlange (Luzifer, kurz Luz genannt) und der Mensch, Adam, ein Mann. Später erscheinen auch Eva sowie Kain und Abel. Archetyp erzählt die Geschichte von Gott, Noah und der Sintflut. Auch Luzifer, die Schlange spielt wieder eine wichtige Rolle, aber auch Noahs Frau und ihre Söhne sind von grosser Bedeutung. Dazu natürlich in beiden Geschichten die gesamte Tierwelt, insbesondere eine Giraffe.

Prototyp besteht aus einer Reihe kurzer, 3 Seiten langer Einzelstorys, die nach und nach die Geschichte der Erschaffung und Weiterentwicklung des Menschen erzählen. Anders als in der Bibel wird zuerst ein Mann und nicht ein Mensch erschaffen, anders als in der Bibel entdeckt dieser Mann seine Sexualität auch ohne vom Baum der Erkenntnis zu essen, anders als in der Bibel isst der Mann zuerst von diesem Baum. Bewegte Männer, Möglichkeiten und Grenzen und vor allem ihre Sexualität sind ja von Anfang an die Themen, die im Werk von Ralf König im Zentrum stehen.
Der Archetyp Noah ist in Ralf Königs Version eine Art biblischer Taliban, der lauthals all die Verderbnis in Sodom und Gomorrah anklagt und deswegen jeden Tag bzw. eher jede Nacht hingeht, um sie sich genau anzusehen. Anders als beim Prototyp wird die Geschichte Noahs fortlaufend erzählt. Der Fundamentalist Noah bringt Gott dazu, sich mit der Schlange Luzifer zu versöhnen, denn er braucht dringend Unterstützung dabei, mit den Forderungen Noahs nach einem Weltuntergang angesichts all dieser Verderbnis zurecht zu kommen.

Ich möchte hier nicht zuviel über die Inhalte der beiden Comicbände verrraten, zumal die Beschreibung mit Worten die Bilderwelt des Comics nicht einholen kann. Ich möchte nur für jeden Band eine Szene vorstellen, die ich hinreissend komisch finde und schliesslich danach frage, inwiefern die beiden Bände für die Auslegung biblischer Texte und die Bibelarbeit bedeutsam sind.

Hinreissend komisch im Prototyp ist etwa die Geschichte, wie die Schlange Adam unter sein Feigenblatt schaut und wie Gott Adam zeigt, welche Gefühle sich mit dem Ding zwischen seinen Beinen erwecken lassen. (Prototyp S. 17ff.) Gott kommt nicht allzu gut weg bei all dem, allerdings wird deutlich, welch produktive Kraft im Zusammenspielt zwischen Gott und Luzifer, der Schlange steckt. Luzifer ist so etwas wie das Alter ego Gottes – was sich durchaus auch in den biblischen Texten entdecken lässt.
Im Archetyp gibt es eine kleine Szene, in der die Nachbarn Noahs ihn beim Bau der Arche beobachten und von der kommenden Sintflut hören. Daraufhin überlegen sie, selbst eine Arche zu bauen. Dadurch droht Noahs Vorstellung von sich selbst als einzigem Gerechen zusammenzubrechen. «Untersteht euch!!! Der Herr schloss den Bund exklusiv mit mir. Er will ja gerade alle Verderbnis auslöschen auf Erden!!!» – «Hältst du uns etwa für verderbt?» – «Na, irgend’n Dreck werdet ihr schon am Stecken haben!!!» (Archetyp S. 84).

Bibelpastoral bedeutsam finde ich, dass Ralf König die biblischen Geschichten mit anderen biblischen Geschichten und Motiven ins Gespräch bringt, also gleichsam Bibelauslegung durch das Gespräch zwischen Bibeltexten betreibt. König erweist sich hier als guter Bibelkenner. Wenn die Schlange etwa Gott dazu herausfordert, Adam auf die Probe zu stellen, dann wird Adam zu Hiob im Comic-Stil («Adam, weisst du, was Zahnschmerzen sind?» (Prototyp S. 50). Auch ausserbiblische Traditionen werden eingespielt, etwa das Höhlengleichnis von Plato, das Adam mit einem Gürteltier in einer Höhle inszeniert. Solch philosophische Höhenflüge sind Folgen des Essens vom Baum der Erkenntnis. Adam entwickelt sich nach und nach vom kirchenliedersingendenden Gläubigen zum kritischen Denker, wobei ihn Eva allerdings auch ohne Apfel in nur einer einzigen Bilderfolge überholt: «Also ich darf diese Äpfel nicht essen, weil ich dann Gut und Böse unterscheiden kann? – Demnach ist es böse, wenn ich so»«˜n Apfel esse, hingegen gut, wenn ich keinen Apfel esse? – Unterbrich mich, wenn ich etwas falsch verstehe, aber wenn ich mich dafür oder dagegen entscheiden, den Apfel zu essen, unterscheide ich doch bereits zwischen Gut und Böse! Wozu soll ich denn dann noch den Apfel essen?» (Prototyp s. 96/97.)
Es klingt beinahe wie eine rabbinische Auseinandersetzung mit dem Text und ich höre dabei – wie in einer wirklichen rabbinischen Geschichte – Gott im Himmel lachend sagen: «Meine Kinder haben mich besiegt».
Im Archetyp wird Noah, der als einziger Mensch die Arche besteigt, weil seine Frau und seine Söhne irgendwann genug von ihm haben, mit der Geschichte des Propheten Jona machen. Das lehrstückhafte daran wird wunderbar zeichnerisch dargestellt durch den sintflutartigen Regen, der nur direkt über der Arche niedergeht – links und rechts davon, ist nichts davon zu sehen. Und Noah bekehrt sich wie Jona zum Gott der Schöpfung und des Lebens – wiederum wunderschön gestaltet durch den Flug der Arche über die Erde hinweg: «Er sah die ganze irdische Pracht / da ergriff mit aller Macht / ihn Liebe für die schöne Welt / unterm weiten Himmelszelt.» (S. 136)
Die Comics von Ralf König sind gezeichnete Bibliologe. Wie in einem Bibliolog, eine Form der Bibelauslegung, die in der Tradition des jüdischen Midrasch steht, kommt z.B. die Schlange zu Wort und sagt, was nicht im Bibeltext steht, zwischen den Zeilen aber durchaus anklingt und dem Verständnis des Textes dient. Zu Gott etwa: «Nein, nein, mach dir keine Vorwürfe. Dein Wille geschehe! Ich werd schon irgendwie Schuld haben!!» (Archetyp S. 31)

Vor kurzem wurde ich gefragt, ob es empfehlenswerte biblische Comics gibt, an denen gerade Jugendliche interessiert sein könnten. Damals fielen mir keine ein. Heute kann ich auf die Frage antworten: Unbedingt Ralf König lesen!!!

Peter Zürn

Ralf König, Prototyp. Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2 Aufl. 2008, 108 S., ISBN 3-498-03542-8, CHF 27.30 Euro 16.90 (erscheint im Februar 2010 als Taschenbuch bei Rowohlt zum Preis von CHF 18.60, Euro 9.95) und Ralf König, Archetyp. Rowohlt Verlag 2009, 140 S., ISBN 3-498-03549-5, CHF 29.90 Euro 16.90.

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