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Gerhard Lohfink, Das Vaterunser neu ausgelegt   

Buch des Monats Dezember 2008

Zum häufigst gesprochenen Gebet der Welt existiert auch eine Flut von Literatur und laufend neuer Bücher, aus denen Gerhard Lohfinks «Das Vaterunser neu ausgelegt» einzigartig auffällt.

Was vor fünfundzwanzig Jahren an einer Tagung begann, als das Brüderpaar Lohfink – Gerhard, der Neutestamentler und Norbert, der Alttestamentler – zusammen das Vaterunser auslegten, ist nach weiterer intensiver Beschäftigung zu einem empfehlenswerten Bändchen von weniger als hundert Seiten geworden. Gerhard Lohfink legt darin seine Erkenntnisse auf der Grundlage seiner vielen Vorträge, die er inzwischen zum Vaterunser gehalten hat, in einfacher und flüssiger Sprache, ohne wissenschaftlichen Apparat – deswegen aber nicht weniger wissenschaftlich fundiert und überzeugend in zehn Schritten vor.

Von der Anrede über die sprachliche Form bis zu den einzelnen Bitten deutet Lohfink das Vaterunser als Jüngergebet, dem es um das «Wollen und Erwarten» (20) Jesu an seine Jünger in seiner Nachfolge am Aufbau und der Verkündigung des Reiches Gottes geht.

Aufschlussreich legt der Neutestamentler dar, welche alttestamentlichen Texte hinter den Vaterunser-Bitten stehen, was zum eigentlichen Verständnis dieses Gebets wesentlich beiträgt. Der Autor verweist z.B. auf die einzige hebräische Bibelstelle, wo Gott als handelndes Subjekt zur Heiligung seines Namens auftritt (Ez 36,23) und geht der Frage nach, weshalb das Volk Gottes scheinbar im Vaterunser nicht vorkommt. Dabei weist Lohfink nach, dass hinter der Bitte «geheiligt werde dein Name» auf Verweis des Ezechielbuchs nichts anderes als die Bitte um die Sammlung des Gottesvolks steht. Auch bei der Bitte «dein Reich komme» bildet ein Prophet den Hintergrund, hier das Buch Daniel, und lässt darin einen «radikalen Herrschaftswechsel» (54) erkennen, den Gott schon heute anbietet.

Für heutige Betende gibt Lohfink auch Anstösse, das zu leben, was der Text des Vaterunsers letztlich sagen will. So kann das oft zur Formel erstarrte Gebet neu entdeckt und wieder zum Leben erweckt werden, denn es «führt uns nicht nur in die Mitte unserer christlichen Existenz. Es zeigt uns auch, wer Jesus wirklich war, denn es führt uns zur Mitte seines Herzens» (97).

Alois Schaller

Gerhard Lohfink, Das Vaterunser neu ausgelegt, Bad Tölz, 2007
99 Seiten, Verlag Urfeld, ISBN 978-3-932857-32-4

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