Wir beraten

Noah – Filmerfahrungen von Nicolaas Derksen, Pastoral-Theologe und Bibliodrama-Ausbilder   

Teil 1

Nico Derksen hat direkt nach der Vorpremiere des Films seine Seh-Erfahrungen aufgeschrieben und uns erlaubt, sie zu redigieren und hier zu veröffentlichen. Wir danken ganz herzlich dafür. Hier der erste Teil seiner Aufzeichnungen. Weitere Seh-Erfahrungen werden folgen.

Nico Derksen:
«
Es hat mich wenig beeinflusst zu wissen, dass es ein Hollywoodfilm ist, dass er 130 Millionen Dollar gekostet hat und dass jetzt natürlich die Frage ist, ob das Geld auch wieder eingenommen wird. Ich war offen dafür, diesen Film an zu schauen und auf mich wirken zu lassen.

Und ich wurde belohnt für meine Offenheit. Dieser Film hat mich tief berührt in manchen  Episoden. Ich fand ihn überzeugend,  mit einem wirklich guten Drehbuch, vor allem auch einem guten theologischen Drehbuch, bei dem die Spannung und die Dramatik der Noah-Geschichte gut zum Ausdruck kommt.  Diesen Film einatmend mit bibliodramatische Augen und Ohren, war ich darauf eingestellt,  dass es neben dem schwarzen Feuer, das sind die Buchstaben, das was geschrieben steht in der biblische Geschichte, auch viel weisses Feuer gibt: die Interpretation des Regisseurs des Films. Die wichtige Frage ist, ob er die Geschichte total nach seiner eigenen Vorstellung umsetzt, oder ob er innerhalb des Raumes, der ihm vom Text gegeben ist, den Text auch als Gegenüber würdigt und doch alle Möglichkeiten benutzt, die dieser Text ihm bietet. So wie jüdische Rabbis immer ihre Midraschim erzählen und geschrieben haben.

Was ist mir aufgefallen im Film?

Zuallererst,  dass wir es hier mit Schöpfung zu tun haben: unsere Welt, unsere Naturwelt, mit allen Möglichkeiten von moderner Technik und Computertechnologie dargestellt und wunderschön. Zum Geniessen. Beeindruckend. Und weiter die Menschenfamilie. Und darin Noah, von dem es heisst, er ist gerecht und untadelig. Er, Noah, lebt seine Beziehung mit dem Schöpfer, genau wie seine Frau auch. Und seine Kinder gehen darin mit. Er erzählt die Schöpfungsgeschichte seiner Sippe. Er leitet die Sippe, das ist deutlich. Die Art und Weise ist kräftig. Seine Frau geht mit ihm mit, auch in sein Hören nach «»IHM» (Gott). Doch sie wirkt nicht einfach folgsam. Beide wirken eher wie eine Beziehung, in der sie sich einig sind. Später wird sie auch sein Gegenüber, so wie es im Schöpfungsbericht von Genesis 2 auch gemeint ist.

Was mir auffällt ist,  dass die Beziehung mit «»ER», dem Schöpfer, da ist und selbstverständlich gelebt wird. Mit Respekt. Im Hören und Sehen. «Ich bereue es, mit den Menschen angefangen zu haben. Ich bin sie leid. Dich mit deine Familie, deine Sippe, will ich retten, und alle Tiere und Vögel und Pflanzen und Saaten». Diese Stimme wird Noah deutlich in Worten,  mehr noch in Visionen, in Träumen: ein Weg, der später auch durch Jeremia und Amos als Propheten gegangen wird.  Noah sieht sich im Wasser, umgeben durch nur Wasser. Er lernt diese Stimme und diese Bilder ernst zu nehmen. Seine Frau fragt ihn danach und ist mit ihm darüber im Gespräch.

Auffallend ist, dass Noah eine derartige Beziehung mit seinem Schöpfer hat, dass er Ihm vertraut und diesen Auftrag annimmt. Der Schöpfer, – ich zögere ob ich mal den Namen Gott im Film gehört habe – immer wieder geht es um Er:  ER sprach. ER lässt sehen. Und ER wird als Schöpfer genannt. Noah und seine Familie werden  gerettet aus dieser Welt, die sich gegen IHN aufgestellt hat: Noah  muss diesen Kasten bauen, den wir kennen als Arche Noah. Denn er ist gerecht und untadelig. Man kann das natürlich verstehen, als ob er perfekt und vollkommen wäre. Ich verstehe das als einen Mensch, der aufrecht sucht nach Gerechtigkeit und auf diesem Weg mit seinem Gott in Beziehung ist und bleibt. Noah ist konkreter Mensch und zugleich Archetyp von einem Mensch,  der in diesem Sinn gerecht und untadelig ist.

Auffallend ist das Noah und seine Sippe Kontakt haben mit Methusalem, (Ur)-Grossvater. Noah bekommt Bestätigung bei ihm für seine Träume. Seine Frau holt Segen bei ihm für die Stieftochter Ila. Sem, Ham und Jafet sind mit dabei. Methusalem verlangt nach Waldbeeren, sucht sie. Er ist einer, der weiss was passieren wird und dabei heute noch ein neues Bäumchen pflanzt.

Der Menschen Bosheit ist gross. Es reut Gott, dass ER mit den Menschen angefangen ist. So geht es nicht weiter. Bosheit wird am meisten ausgedrückt durch ein Gesicht, das von Tubal-Kain und durch Menschenmassen, die auf der Seite von Macht und Gewalt stehen und nur für sich selbst gehen. Sie stehen eher auf der Todesseite als auf der Lebensseite des Lebens. Themen  wie Vegetarier sein – in der Bibel wird erst nach der Sintflut Fleisch gegessen – und Kinderopfer werden berührt. Bei mir hat das sofort Verbindung mit Kinderopfern in vielen Kulturen und Religionen hergestellt: das erste Kind muss den Göttern geopfert werden, um sie günstig zu stimmen – das schreckliche Angstland. In einer solchen Gewaltszenerie wird Ila gefunden. Noah und seine Familie kommen in ein Dorf, wo alle Bewohner ermordet wurden – Normalität bei der Bosheit der Menschen – und sie finden ein Kind das noch lebt. Sie entscheiden es mit zu nehmen. Ila hat eine grosse Wunde am Bauch, so dass sie unfruchtbar geworden ist. Aber sie lebt. Schon hier klingt an, dass der Film weitere biblische Themen weit über die Sintflutgeschichte hinaus aufnimmt. hier die Kinderopfer und die Bindung von Isaak in Genesis 22: Abraham, der gerufen wird von Gott endlich seinen Weg zu gehen und dem ein grosses Volk als Nachkommen versprochen wird, soll seinen eigenen Sohn Gott opfern. Ich komme noch darauf zurück. Dieser Film ist ein Film, der alle grosse Themen von der Bibel schon mit sich mitträgt, genauso wie die ersten elf Kapitel von Genesis wie die Ouvertüre einer Symphonie sind: alle Themen die noch kommen, werden hier schon angedeutet und gespielt.

Noah geht mit seiner Familie zu einem Ort  wo sie die Arche bauen können. Wunderbar zärtlich wird im Film gezeigt, wie Bächlein strömen, wie unerwartet Blumen blühen aus einem Regentropfen, wie ein Wald in ein paar Sekunden aus dem Boden wächst. Unmöglich möglich: Schöpfung zum Geniessen. Und sie bauen: einen gewaltigen Kasten. Sem sorgt sich: Wir haben neben Mutter nur eine Frau und die ist unfruchtbar, wie soll das später weiter gehen? Ham hat die gleiche Frage. Er ist noch am stärksten verbunden mit den Menschen, die böse genannt werden. Es ist ein Zwiespalt in ihm. Er ist Symbol für einen Menschen wie wir alle: hin und her gerissen zwischen Gut und Böse, herausgefordert, sich entscheiden müssen für das Leben, für den Segen, wissend dass immer auch Tod und Fluch da sind. Manchmal steht er mehr an der Seite des Todes. Jafet dagegen ist noch jung. Er überlässt das Sorgen den Älteren.

Noah und seine Sippe bauen diesen Kasten. Riesen, die in der Bibel genannt werden und im Film mit gefallenen Engeln identifiziert werden, helfen.  Die Menschen, die Noah und seine Sippe und was er da macht, nicht akzeptieren können, kommen drohend näher. Liebhaber von Tod und Gewalt,  Kinderopfer bringend, einander ermordend. Sie wählen den Tod. Ham will eine Frau und geht zu diesen Menschen. In einem Graben voller Leichen, Opfer der herrschenden Gewalt, findet er eine junge Frau, voller Angst und Furcht. Er beruhigt sie und überzeugt sie mit ihm mit zu gehen. Er handelt genau wie sein Vater als er Ila gerettet hat. Da beginnt es zu regnen. Sie fliehen zum Kasten. Die Frau verfängt sich aber mit dem Bein in einer ausgelegten Wildfalle. Die Menschen unter Leitung von Tubal-Kain wollen den Kasten erobern und sich retten auf Kosten von Noah und seiner Sippe. Noah kommt, um Ham zu holen und zu retten. Ham bittet ihn, seiner Frau zu helfen. Noah verweigert das. Er sagt, dass sie nicht gerecht ist und nicht mitgenommen werden kann und Ham muss diese junge Frau zurücklassen die bald durch die Menschen von Tubal-Kain überlaufen und getötet wird. Ham kommt mit Noah mit,voller Hass und Wut auf seinen Vater. Er verbindet sich mit Tubal-Kain dem es gelingt, sich heimlich in den Kasten zu retten. Vor dem Film haben wir einen Bibliolog erlebt, bei dem wir uns in die Rolle einer der Frauen auf der Arche versetzt haben – in dem Moment als die Tür der Arche hinter uns geschlossen wird. Hier, wo die junge Frau zurücklassen wird,  habe ich den Moment erlebt, dass die Tür des Kastens zugeschlagen wird.

Vor dem Kasten findet ein letzter Streit statt: Die Riesen Engel kämpfen für Noah und seine Sippe. Diese Kampfszenen haben viel Ähnlichkeit mit den «Herr der Ringe»-Filmen. Sie sind als archetypischer Kampf zwischen Gut und Bose inszeniert. Was mir am meisten aufgefallen ist dabei: die Szenen sind da und zugleich werden sie nicht zur Hauptsache. Sie bleiben im Dienst des Hauptplots und Hauptthemas: Wie  geht es Noah mit seiner Berufung und wie geht es seiner Frau und Kinder dabei? Seine Frau hat keinen eigenen Name und wird doch – das werden wir noch sehen – ein wichtiges Gegenüber von Noah, so wie es in der biblischen Schöpfungserzählung auch gemeint ist, wenn der Mensch männlich und der Mensch weiblich geschaffen werden. Der Hauptplot ist und bleibt auf der Charakter- und Beziehungsebene.