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Gregor Taxacher, Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit   

Buch des Monats

Wir leben in der Endzeit. Ökologische und soziale Katastrophen haben globale Dimensionen angenommen. Die Möglichkeit, dass die Welt – jedenfalls, die Welt, wie wir Menschen sie kennen – untergeht, ist Realität. Diese Möglichkeit wird aller Wahrscheinlichkeit nach solange es Menschen gibt, auch nicht mehr verschwinden. Wir Menschen haben die Macht der Selbstvernichtung auf uns gezogen und werden sie nicht mehr los. Deswegen ist die Endzeit für uns zum Dauerzustand geworden. Angesichts dessen ist es doch schon sehr auffällig, wie wenig Stimmen aus den christlichen Kirchen und ihrer theologischen Reflexion zu dieser Situation erklingen. Die Apokalyptik ist nach Hollywood abgewandert. Die Rede vom Gericht ist verpönt. Spiritualität ist auf die Gestaltung des individuellen Lebens fokussiert. Ich übertriebe hier natürlich – im besten Fall bis zur Kenntlichkeit.

Gregor Taxacher spricht im Untertitel seines Buches «vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit» und stellt im Titel ganz klar fest: «Apokalypse ist jetzt». Taxacher macht «biblische Ressourcen für die Nach-Moderne» fruchtbar. Im Zentrum steht dabei die «verdrängte biblische Grundkategorie» des Gerichts (137).  Er entwickelt die Ressourcen der Prophetie, des deuteronomistischen und des weisheitlichen Denkens und Handelns sowie der Apokalyptik für unsere Gegenwart. Zuvor jedoch liefert Taxacher eine umfangreiche Analyse der globalen ökologischen und sozialen Lage, die in die geschichtsphilosophische Einordnung unserer Gegenwart als «Anthropozän» mündet. Sie umfasst mit 130 Seiten mehr als die Hälfte des Buches und ist anspruchsvoll zu lesen. Wir Menschen haben eine völlig neue Situation auf der Welt geschaffen: die Möglichkeit unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören und uns zu vernichten. Von uns Menschen hängt der Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, ab. Unser auf grenzenlosem Wachstum beruhendes ökonomisches System ist dermassen «erfolgreich», dass es zur Vernichtung unseres begrenzten ökologischen Systems führt. In den reichen Ländern des Westens und Nordens kann das noch weitgehend verdrängt werden, in anderen Ländern längst nicht mehr.  Wir ergänzen die Verdrängung mit weiteren unzulänglichen Reaktionen, mit Kosmetik, mit Zynismus, mit dem Bau von Festungen… Unsere menschliche Sensibilität ist angesichts der Situation überfordert. Angesichts der Macht der Fortschritts-Logik ist Taxachers Fazit pessimistisch. Es spricht sehr viel für das Scheitern des herrschenden Menschheitsprojektes.

Ab S. 133 konfrontiert Taxacher Gegenwart und Theologie miteinander. Er blickt vom biblischen Glauben auf die Gegenwart unter Annahme der Gegenwart Gottes als Herr der Geschichte. So radikalisieren sich die anstehenden Fragen: «Die Frage allein, wie der Untergang zu vermeiden sei, wird der vorgerückten Stunde und unsere Wissen um sie nicht gerecht, so wenig wie ein Mensch im bewusst erlebten Todeskampf nur medizinische Fragen hat» (136). Was bedeutet das mögliche Scheitern des westlichen Fortschrittprojektes für Menschen im Angesicht Gottes?
Taxacher will wie gesagt, die verdrängte biblische Kategorie des Gerichts wieder ins Bewusstsein rufen. «Gericht» im biblischen Verständnis ist Folge der Geschichte, Ausdruck der Differenz zwischen gewollter Schöpfung und tatsächlicher Welt, Wahrnehmen zum Himmel schreiender Vergehen gegen die Schöpfung. Die Gerichtsrede ist die dunkle, aber not-wendige Rückseite der Verheissung und des Evangeliums. Um jeder Selbstgefälligkeit zu entgehen, gilt es wahrzunehmen, dass in der Bibel das Gericht immer «beim Haus Gottes» beginnt. Die biblische Rede vom Gericht spricht von Schuld und weist Verantwortung zu. Für die heutige globale ökologische und soziale Krise ist daraus vor allem die «Verantwortung in Überforderung» (157) zu gewinnen, denn konkrete subjektive Schuld ist eher selten zuzuordnen. Und trotzdem fungiert die Rede vom Gericht als Gegenmittel zur ausgeprägten Verschleierung von Verantwortlichkeiten. Sie wirkt gegen «die Banalität der Apokalypse» (161). Auch die Erbsündenlehre, systemtheoretisch gelesen, zielt in diese Richtung. Und schliesslich dient die Rede vom Gericht auch dazu, Würde von Menschen als ethische Subjekte und Verantwortliche zu retten. Wer die Welt mit dem Blick des Gerichts betrachtet, verändert die Wahrnehmung der Situation von einer tragischen in eine ethische und eine subjekthafte. Sie führt «jenseits von Tragik und Ohnmacht» (156).
Bei der Entfaltung der biblischen Ressourcen beklagt Taxacher das fehlende prophetische Moment in den Kirchen der Gegenwart. Er erkennt in den Ansätzen eines Thomas Rusters eine neue Form von deuteronomistischer Theologie, die versucht in der Praxis christlicher Gemeinden «toracodierte Systeme» zu etablieren, die andere gesellschaftliche Systeme stören und die irritierende Kraft von Differenzen einbringen, wenn sie z.B. in ihrem Binnenraum das biblische Zinsverbot oder des regelmässigen Schuldenerlasses praktizieren oder den Genuss bestimmten Fleisches neu problematisieren. Für die «Gratwanderung zwischen Aktivismus und Verzweiflung» (202), der vielen von uns wohl vertraut sein dürfte, empfiehlt Taxacher eine kritische Orientierung an der biblischen Weisheit mit ihrer skeptischen und realistischen Haltung. «Sie wird oft einfach in der Konsequenz bestehen, mit der Einzelne auch das Private als politisch begreifen und hier, bei ihren Nächsten, wo sie tatsächlich keine Entschuldigung der Ohnmacht haben, real und symbolisch für das Einstehen, was sie im Grossen nicht werden retten können.» Es gilt wohl, sich in die Weisung Gottes an Baruch, den Schreiber des Propheten Jeremia nach Jer 45 einzuüben, dem nichts Grosses verheissen ist, der aber das eigene Leben dem Unglück, das das Volk Israel treffen wird, als Beute wird entreissen können.

Peter Zürn

Gregor Taxacher, Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, Gütersloher Verlagshaus 2012, 225 S., ISBN 978-3-579-08140-3, CHF 29.90


Taxacher ist nicht die einzige Stimme der Theologie im Angesicht der Endzeit. Ebenfalls empfehlenswert ist:

Geiko Müller-Fahrenholz, Heimat Erde. Christliche Spiritualität unter endzeitlichen Lebensbedingungen, Güterloher Verlagshaus 2013, 385 S. Müller-Fahrenholz entwickelt seine Spiritualität ausgehend von der Botschaft der Engel vom «Frieden auf Erden» aus der lukanischen Geburtsgeschichte.