Erinnern und erzählen. Das Markus-Evangelium in- und auswendig lernen

Peter Zürn / WerkstattBibel Band 12

Die ökumenische Reihe «WerkstattBibel» steht für biblisch wie erwachsenenbildnerisch kompetente, anregende und zugleich gut lesbare Bücher, in denen jeweils ein biblischer Textkorpus mit einer bibelpastoralen Methode verknüpft wird. Band 12 wurde von Peter Zürn, Fachmitarbeiter an der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich, herausgegeben. Sein Titel «Erinnern und Erzählen» spielt auf Kernvollzüge jeder religiösen Tradition und auch des Christentums an: Identitätsstiftende Geschichten und Texte müssen erinnert und erzählt werden, um ihre heilsame Kraft zu entfalten. Konkret geht es beim vorliegenden Band um das Markusevangelium – und um eine überraschende, alt-neue Methode: Ziel der sieben detaillierten Vorschläge für Bibelarbeiten ist es, einige Texte des Markusevangeliums so zu verinnerlichen, dass sie auch auswendig erinnert und weitererzählt werden können.

Das Buch beginnt mit einer ausgezeichneten bibeltheologischen Einführung in das Markusevangelium (S. 10-24). Sie geht vom titelgebenden Vers Mk 14,9 aus («Überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie [die Frau, die Jesus in Bethanien gesalbt hat] erinnern und erzählen, was sie getan hat») und führt über einige Stichworte zur «gefährlichen Erinnerung» nach J.B. Metz zu einem Durchgang durch das Mk, bei dem der von B. v. Iersel so genial herausgearbeitete konzentrische Aufbau zugrunde gelegt wird. Besonders eindrucksvoll ist, wie das Mk nach A. Bedenbender und M. Fander als «Weg der Traumabearbeitung» nach dem Jüdischen Krieg gegen die römische Besatzung verstanden wird und so auch notorisch sperrige Texte wie der offene Schluss des Mk im Grab eine Deutung erfahren, die in existentielle Lebens- und Glaubensfragen heute hineinführen.

Die methodische Einführung (S. 26-36) bietet hilfreiche Anregungen zum In- und Auswendiglernen («Loci-Methode», «Gedächtnispalast» u.a.), wobei auch diese Aspekte nicht in der Theorie oder rein lerntechnischen Fragen steckenbleiben, sondern mit jüdisch-christlichen Glaubenstraditionen verknüpft werden und dem Ziel verpflichtet sind, dass sich die verinnerlichten Texte «inkarnieren» und zu neuer Lebenspraxis anregen. Auch wer nicht vorhat, die Bibelarbeiten des Bandes praktisch umzusetzen, wird deshalb in der bibeltheologischen und methodischen Einführung zahlreiche neue Einsichten und Anregungen finden.

Die Bibelarbeiten (S. 38-91) zu sieben Texten aus dem Mk sind – wie von der Reihe gewohnt – sehr kreativ, ganzheitlich und mit allen nötigen methodischen und bibeltheologischen Informationen auf dem aktuellen Forschungsstand ausgestattet. Dabei sind die Akzente recht unterschiedlich gesetzt, was nicht nur auf eine bewusst angestrebte Methodenvielfalt (eben kein stures «Auswendiglernen»!) zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass die einzelnen Bibelarbeiten von wechselnden Teams aus je drei Fachpersonen konzipiert wurden. Die Textauswahl (Mk 1,1-15; 2,23-28; 7,24-30; 11,12-22; 12,1-9a; 14,1-9; 16,1-8) ist z.T. etwas überraschend. Dahinter steht offenbar das Anliegen, nicht nur «schöne» Texte zu bearbeiten, sondern gerade unter dem programmatischen Titel «Erinnern und Erzählen» auch ungewohnte, teilweise problematische Aspekte wie z.B. den «fluchenden und offensichtlich ungerechten Jesus» (S. 65) in der Feigenbaum-Perikope (11,12-22) oder das Winzergleichnis (12,1-9a) mit seiner massiv antijüdischen Interpretations- und Wirkungsgeschichte zu thematisieren. Dieses Ziel ist ausserordentlich wichtig – und trotzdem wäre es vielleicht hilfreich gewesen, für einen ersten (Neu-)Zugang zum In- und Auswendiglernen auch ein Gleichnis oder andere, bekanntere Texte auszuwählen (bei näherem Hinsehen sind nämlich auch diese Texte sperrig genug). Jedenfalls fällt auf, dass gerade bei den Bibelarbeiten zu «Problemtexten» der methodische Akzent eben nicht aufs Auswendiglernen gelegt wird (wer will schon einen Text auswendig lernen, mit dem er/sie sich gerade ausführlich, kritisch und ohne einfache «Auflösung» «herumgeschlagen» hat?), sondern im üblichen Rahmen guter, kreativer Bibelarbeit verbleibt. Diese Kritik im Detail ändert jedoch nichts daran, dass die «WerkstattBibel» mit «Erinnern und Erzählen» um einen weiteren sehr anregenden, praxistauglichen Band gewachsen ist, der hoffentlich vielen Leserinnen und Lesern neue Begegnungen mit dem Markusevangelium ermöglicht – und vielen Bibelgruppen sieben nachhaltige Treffen.

Detlef Hecking